Klasse Ursula Rogg  |  Raum A.O1.07, Altbau  |  Website öffnen

 

Die Pferde des ersten Kutschers keuchen und schwitzen die breit aufgerissene Straße entlang. Ein großer gelber deutscher Bagger der Firma Liebherr, den die Regierung auf die Insel hat schaffen lassen, zum Einsatz auf dieser und auf anderen Straßen, hat die Ränder der engen unbefestigten Fahrbahn aufgebrochen und in die Gräben und Büsche und Vorgärten hineingefressen, damit die neuen breiten Gefährte des Fortschritts Platz finden. Die Straße soll geteert werden, dafür wird man neue deutsche Maschinen vom Festland bringen müssen und Asphalt und sudanesische Straßenarbeiter und einen türkischen Vorarbeiter und Container, in denen sie schlafen, denn es ist nicht billig, die Arbeiter vom Festland auf die Insel hin und her zu fahren, und schlafen müssen sie, und der Straßenbau ist teuer genug. Der erste Kutscher ist besorgt und wütend, denn die Pferde finden auf dem Geröll der zerstörten Fahrbahn keinen Halt und rutschen hin und her und das linke Pferd macht ein Geräusch, als würde es krepieren, dann krepiert es und fällt auf den Boden vor dem Tor. Das Tor ist das Tor zur Auffahrt zum Haus des Konsuls, so wird es genannt. Der Konsul lebt nicht auf der Insel, manchmal ist er da und fährt in einer Kutsche vom Hafen zu seinem Haus. Auf der Insel weiß man nicht, was das Geschäft des Konsuls ist, es heißt, er arbeite für die Regierung auf dem Festland, aber der erste Kutscher weiß es besser, er hat den Konsul oft vom Hafen zu seinem Haus gefahren und weiß, dieser ist großzügig. Beamte aber sind sparsam. Auch der erste Kutscher weiß nicht sicher, was das Geschäft des Konsuls ist, aber er muss es auch nicht wissen, um zu wissen, dass der Konsul keinen Titel der Regierung trägt, er weiß, Konsul ist kein Titel für Beamte. Es ist ein Titel wie ein Adelstitel, der nicht auf den Beruf des Konsuls schließen lässt. Vielleicht, denkt der erste Kutscher, heißt der Konsul auch nur Konsul, weil ihm das Haus des Konsuls gehört, das vorher einem echten Konsul gehörte, als es noch echte Konsuln gab. Vielleicht.


Aus: Samuel Fischer-Glaser, Orlando Boeringer, in: Gesammelte Werke (2022), 2022