Ausgehend von der Annahme, dass sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein grundlegender Umbruch ereignet, in dessen Verlauf das Kleine, Mindere, Infime und Infa- me sowohl in der Kunst als auch in größeren gesellschaftlichen Zusammenhängen ein bis- her unbekanntes Ausmaß an Sichtbarkeit zu erlangen und sich dann ein Prozess zu entfalten beginnt, der noch immer nicht abgeschlossen ist, wollen wir untersuchen, wie sich in diesem Kontext ein Konzept minderer Mimesis aus verschiedenen Perspektiven näher konturieren lässt. Wenn so unterschiedliche Denker wie Erich Auerbach, Michel Foucault (wir denken hier an Das Leben der infamen Menschen) oder Jacques Rancière davon ausgehen, dass ‚moderne‘ Zeiten genau dann einsetzen, wenn Menschen, Dinge und Ereignisse darstellbar werden, die zuvor keiner Darstellung würdig waren, stellt sich die Frage, auf welche Weisen ein solcher Wandel diagnostizierbar ist. Hängt er mit einer Profanisierung des einmal Heiligen und dem Aufstieg des Alltäglichen zu den Höhen der Tragik zusammen? Hat er mit der Auffächerung und einsetzenden Differenzierung vormals noch souveräner und auf ein Zentrum bezogener Machtbeziehungen zu tun? Ist er darin begründet, dass, wie es die kantische Ästhetik postuliert, vormals dominierende poetolo- gische Regulierungsweisen der Kunst kollabieren, weil auf wahrnehmungstheoretischer Ebene Sinnlichkeit und Verstand in ein anderes Verhältnis zueinander treten?
Ob uns nun Nachahmungen der Wirklichkeit, Nachahmungen des majestätischen Tons oder die vielen Enden der Nachahmungen eines normativen Ideenrasters durch die Er- scheinungen vorliegen: Neben ihrem einen Aspekt, der darin besteht, dass sich in ihr et- was an etwas anderes angleicht und ihm ähnlich macht, besteht Mimesis nämlich auch in der Wirkung von etwas auf etwas anderes. Sie weist eine Wirkungsseite auf, die sowohl in platonischen als auch aristotelischen Traditionen etwas in den Hintergrund getreten ist. Die ReferentInnen des Workshops sind deshalb dazu eingeladen, von ihren jeweiligen Po- sitionen aus abzutasten, wie das Aufkommen minderer Mimesis in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mindestens genauso mit neuen Begriffen von Wirkung wie mit neuen Sichtweisen auf diejenigen Tätigkeiten, die als Nachahmung gelten, verwickelt ist. Vor die- sem Hintergrund ließe sich von den entgrenzten, ausufernden, unkontrollierbaren Zügen eines verschütteten mimetischen Vermögens (Benjamin, Adorno), von strahlenförmigen Ausbreitungen der Mimesis (Tarde, Latour) oder einem gemeinsamen Werden zwischen Wespen und Orchideen (Deleuze, Guattari) sprechen, um eine Operationsweise minderer Mimesis zu skizzieren, die von Vor- und Abbildlogiken gekennzeichnete Schemata ver- lässt, um sich gegenüber vielschichtigen Wirkungsweisen und viral um sich greifenden Metamorphosen zu öffnen.

 

 

Freitag, 2. Dezember

15.15 Friedrich Balke und Maria Muhle
Begrüßung

15.30 Stefan Apostolou-Hölscher und Elisa Linseisen
Einführung

16.00 Jan Müller (Basel)
Realismus des Gewöhnlichen: Mindere Mimesis und Alltäglichkeit

 

17.00 Julia Bee (Konstanz)
Visuelle Anthropologie: Mimesis und Fabulation

18.00 Maximilian Haas (Berlin)
Über einige performative Gesetze der Nachahmung in einer mehr-als-menschlichen Welt

20.00 Abendessen

 

 

Samstag, 3. Dezember

11.00 Jenny Nachtigall (München)
Subjektlose Mimesis: Adorno gegen den Strich

12.00 Gerko Egert (Berlin)
Ähnlichkeitsereignisse

13.00 Mittagspause    

14.00 Elena Vogman (Berlin)
Inhumane Gesichter: Die Perspektiven einer kritischen Morphologie

15.00 Sebastian Althoff (München)
Digitale Mimikry