Ist es bequem, auf der Geschichte zu sitzen?
Die Geschichte hat eine Beton-Decke. Diese ist zwei Meter fünzig dick. Und stahl-armiert. Innen ist sie mit Wänden und Stützen aus gebrannten Ziegel ausgelegt. Weiß gestrichen, hält der Putz nicht überall gut und bröselt an manchen Stellen ab. Die Geschichte ist direkt unter meinen Füßen, unter meinen Arbeitsstuhl. Die Geschichte ist stabil, sie hält gut. Das Unternehmen in dem ich aushelfe, befindet sich in der Schillerstraße 35, München. Hier stand früher der Franz-Eher-Verlag, der ehemalige Zentralverlag der NSDAP. An dieser Stelle war die Redaktion des Völkischen Beobachters, an diesem Ort wurde er gedruckt. Hier wurden 10 Millionen Exemplare von "Mein Kampf" gedruckt. Nach dem 2. Weltkrieg übernahm der Springer Verlag den bei den Münchnern als Medienhaus bekannten Bau. 1968 fanden hier nach der Ermordung von Benno Ohnesorg die Oster-Demonstrationen statt, bei der die Räume der Bild-Redaktion verwüstet wurden. Die Bild wurde an dieser Stelle bis in die 90er täglich gedruckt. In den 70ern wurde neu gebaut. Das ursprüngliche Verlagsgebäude wurde dafür abgerissen. Aber nicht der gesamte Bau. Die Geschichte ließ sich nicht abreißen. Sie ist stabil, sie hält gut. Ein Bunker ist übrig geblieben. Auf diesem Bunker sitze ich. Die Architekt_innen des neuen Baus müssen an diesem Kubus schier verzweifelt sein. Ließ er sich nicht abtragen? War es zu kostspielig? Nicht ökonomisch? Oder war es einfach ein tragfähiges Fundament, auf dem man gut aufbauen konnte? Der Bunker blieb. Er fühlt sich wie ein Sandkorn im Schuh an. Er ragt über die Gebäudegrenze auf das Trottoir. Er stört. Er muss umschifft werden, wenn man an dem Gebäude vorbeikommen will. Da hilft auch nicht die einheitliche Fassade. Oder die Bullaugen, die als Schaukästen dienen. Der Bunker erinnert uns an das, was möglich ist.