Aus Knoten werden Wege
Kürzlich wurde ich im Traum von zwei jungen Tigern angegriffen, ich war ihre Beute. Am nächsten Morgen bin ich ins Atelier gefahren und habe eine kleine Leinwand aufgezogen. Als ich fertig war und die Tiere in Öl vor mir sah, erst da erkannte ich die beiden wieder.
Als Malerei beginnt sich die Landschaft an sich selbst zu erinnern. Strich für Strich. Jede Erinnerung offenbart eine Berührung, die danach verlangt, noch einmal gelebt zu werden. Dort, wo wir Kinder waren, sind meine Arbeiten Alltagsobjekte. Perserteppiche, vom Pinsel aufgetragen, zu Keramiken geformt. In Ungarn, im Iran und in Pakistan kaufe ich Material ein. Jede Reise endet mit der Rückkehr nach Hause.
Die Grenze zwischen mir und dem weiten Raum, in dem meine Kunst lebt, ist ein Fenster. Dahinter, auf der anderen Seite, sitzt meine Mutter und knüpft Teppichfäden zusammen. Jeder ihrer Knoten folgt einer stillen Absicht. Das ewig erneuerbare Versprechen, dass aus zwei Enden ein neuer Anfang entsteht. Ich folge ihren Bewegungen. Ohne Pflicht. Als Hobby. Als Tochter. Damit nichts verloren geht, öffne ich das Fenster, und die Teppiche fliegen nach Hause. Vielleicht ist jede Reise eigentlich nur ein Heimweg.
Text: Deborah Lara Schaefer