Klasse Gregor Hildebrandt  |  Raum Altbau | Treppenhaus Vestibül

Schwarz auf Weiß

 

Das Werk „Schwarz auf Weiß“ von Peng Li thematisiert Zensur, Erinnerung und das Verschwinden von Wahrheit. 

 

Genau wie im Deutschen auch bedeutet die Redewendung ‚Schwarz auf Weiss‘ auch im Chinesischen, dass schriftliche Beweise klar und unwiderlegbar sind.  In dieser Arbeit wird diese ursprüngliche Klarheit jedoch hinterfragt.

 

Mit Acrylfarbe dokumentiert Peng Li Schlüsselereignisse aus Chinas jüngerer Geschichte zwischen 2019 und 2022 – auf eine Folie trägt er dazu zunächst den weißen Hintergrund auf, auf dem er dann in schwarzer Schrift mit einem Pinsel schreibt. Er dokumentiert auf diese Art unter anderem den Lockdown anlässlich der Covid Pandemie in Wuhan im Jahr 2019, das Video „Stimmen des April“ aus dem April 2022, in dem Aufnahmen aus Telefongesprächen von Bürgern mit Straßen Komitees und Behörden, aber auch Rufe aus den Hochhäusern, die unter strengem Lockdown standen, über Drohnenaufnahmen der verwaisten Stadt Shanghai gelegt wurden,  den “Whitepaper” Protest von 2022, den Brand eines Wohnhauses in Ürümqi im selben Jahr (aufgrund des damaligen Lockdowns konnte die Feuerwehr das Haus nicht rechtzeitig erreichen und zahlreiche Menschen starben in den Flammen) und den Fall einer Frau in der Provinz Jiangsu, die von ihrem Ehemann angekettet jahrelang in einem Stall hauste. All diese Ereignisse wurden in den sozialen Medien zensiert und gelöscht.

 

Mit einem Edelstahl-Spiralschwamm kratzt Peng Li diese Niederschriften samt Hintergrund dann wieder von der Folie ab – übrig bleiben winzigkleine Schnipsel aus weißer und schwarzer Farbe, auf denen keinerlei Inhalt mehr zu erkennen ist. Dieser radikale Akt ist eine Metapher für das Entfernen “unerwünschter“ Informationen durch staatliche Organe. 

 

In einem zeitaufwändigen Prozess setzt Peng Li diese Fragmente dann wieder zusammen. Er füllt Lücken, ergänzt Bruchstellen und schafft damit ein „Bildrauschen“ – ein visuelles Echo, das die Ambivalenz zwischen Verlorenem und Gerettetem einfängt. Diese bearbeiteten Fragmente werden auf Alltagsobjekte wie Fernsehbildschirme, Bücher, Überwachungskameras, Zollstöcke und Schachteln usw. übertragen und wirken wie polierte Granitflächen: undurchdringlich, aber voller Bedeutungsschichten.

 

Die Bücher zum Beispiel hat er dabei ausserdem auf die Größe der in China allseits verbreiteten und bekannten Werke „Eine kurze Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas“ und „Die Gedanken Xi Jinpings“ zurechtgeschnitten:  sie sind im wahrsten Sinne des Wortes beschnitten, um ein Gefühl von Ordnung und Einheit zu suggerieren. 

 

Parallel dazu hat Peng Li eine Audioarbeit geschaffen, in der er Audiomaterial zu den genannten Ereignissen sammelt. Der Großteil des Originaltons wurde auch hier zu einem weißen Rauschen verarbeitet. Insgesamt ist das Stück 4,04 Minuten lang;  404 bezieht sich hier auf den http-Statuscode ‚error 404‘, der immer dann erscheint, wenn eine Nachricht nicht im Internet zu finden ist. Für Chinas Netizens ist er das Symbol für Staatszensur. 

 

Das Thema ‚404‘ greift Peng Li auch in der Anordnung von 8 Zollstöcken auf: aus 8 mit Bildrauschen versehenen Zollstöcken bildet er ein Quadrat mit einer Seitenlänge von 4,04 Metern – den Zentimeter 40 bis 4(1) lässt er dabei jeweils vom Bildrauschen unverdeckt: auf den Zollstöcken kann man also lediglich die Zensur (404) deutlich erkennen. 

 

Eine persönliche Ebene fügt dem Werk zusätzliche Komplexität hinzu: Peng Lis eigener Name ist identisch mit dem eines früheren chinesischen Ministerpräsidenten (1987 – 1998) und wurde damit für ihn selbst zum Synonym für Zensur: in China spricht man nicht offen über die wichtigen Politiker des Landes; die Nennung ihrer Namen kann je nach politischer Situation sogar gefährlich werden. Von Kindheit an - sei es bei Wettbewerben, an Grenzkontrollen oder in sozialen Medien - hat er dadurch Einschränkungen erlebt, die mit seinem „verbotenen Namen“ einhergehen: so wurde er für die Teilnahme an einem Schulwettbewerb gebeten, sich doch besser unter einem anderen Namen anzumelden. 

 

Mit „Schwarz auf Weiß“ visualisiert Peng Li nicht nur die Mechanismen der Zensur, sondern schafft ein Werk, das die Kontinuität des Verborgenen zelebriert. Es zeigt, dass selbst das, was gelöscht wurde, weiterhin in Fragmenten existiert. Es ist in Erinnerung, in visuellen Spuren oder in der Resilienz jener, die sich dem Vergessen widersetzen.

 

Instagram: @peng___li