Komm zu Mama.
Eine Familie findet sich in einer fremden Stadt wieder. Die kleine Wohnung wird die neue Heimat. Draußen vor dem Fenster pulsiert das Leben, drinnen regiert die Angst. Durch die Decke poltert der dumpfe Streit eines Paares. Die heruntergezogenen Jalousien werden eiserne Vorhänge, die für Sicherheit sorgen sollen. Schutz oder Gefängnis - eine Grenze verschwimmt. Gerade für die jüngste Tochter. Dann klopft es an der Tür. Die verweinte Nachbarin sucht Trost. Sie findet Tee, Datteln und Gastfreundlichkeit. Von da an sitzt sie regelmäßig im Wohnzimmer, wo ihre Tränen wie Perlen in den fasrigen Mustern des Teppichs versickern. Die alltäglichen Schulbesuche dehnt die jüngste Tochter aus und entdeckt dabei neue Hallen. Ort voller Licht, Linien und Bewegung. Rhythmisch ziehen sich Graphitspitzen über hölzerne Klemmbretter, auf denen entblößte Figuren einen heimlichen Tanz führen. Sie kehrt immer wieder dorthin zurück, bis aus dem Zufall eine Absicht erwächst. Auch ihre Hände beginnen sich zu bewegen und zu skizzieren. Mit jedem Strich zeichnet sich ein neuer Weg. Ein Geheimnis, das nicht lange verborgen bleibt. Die elterliche Angst trifft auf jugendlichen Mut. Wünsche kollidieren mit Erwartungen. Eine Alchemie, die das Küken zum Fliegen bringt. Sie geht ihren Weg in den neuen Hallen, bis sie selbst Mutter wird. Das Kind wächst zwischen Pinselstrichen auf. Farben und Bewegung, Linien, Leben und ein Ort voller Licht prägen das Bewusstsein. Irgendwann rückt das Überleben in den Vordergrund. Die Mutter lässt die Kunst warten. Sie geht, bevor sie abschließen kann.
Jahre vergehen. Das Kind wird groß, folgt anderen Wegen - und kehrt schlussendlich an den Ursprung zurück, wo die Geschichte begann. Diesmal selbst als Student. Alte Halle, bekannte Eindrücke. Der Kreis schließt sich. Nun macht der Sohn den Abschluss, den die Mutter nie machen konnte - gemeinsam mit ihr.
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