15 Minutes of Doomscrolling
Der Begriff „Doomscrolling" beschreibt das rastlose Konsumieren negativer oder bedeutungsloser Inhalte in sozialen Medien - ein Phänomen, das sich durch zielloses Weiterwischen und das Verharren in einer algorithmisch kuratierten Endlosschleife auszeichnet. In seiner Arbeit 15 Minutes of Doomscrolling greift Leonard Will dieses Verhalten auf und überträgt es in einen performativen und malerischen Prozess.
Acht Leinwände im Format 90 cm x 160 cm - dem gängigen Seitenverhältnis von Instagram Reels entsprechend - werden nacheinander mit Rückprojektionen bespielt. Die Quelle dieses Bildstroms sind acht unterschiedliche Probanden, die für jeweils 15 Minuten ihr Smartphone mit einem Beamer verbinden und ihre persönlichen Instagram-Feeds offenbaren. Die Zeitspanne von 15 Minuten entspricht hierbei der durchschnittlichen Dauer, die der Instagram-Algorithmus benötigt, um ein Profil und seine Interessen „kennenzulernen". Währenddessen versucht Will auf der Vorderseite der Leinwand, das flüchtige Bildgeschehen abzupausen - eine absurde Geste angesichts der Unmöglichkeit, Bewegung exakt einzufangen. Statt präziser Abbildungen entstehen krakelige, gestische Spuren, die an Kalligrafie oder Graffiti erinnern. Gelegentlich lassen sich Fragmente wie Gesichter oder Texte erkennen, doch das Gesamtbild bleibt fragmentarisch, chaotisch und unfassbar.
Die Entscheidungsverantwortung des Künstlers wird dabei auf ein Minimum reduziert: Statt einer bewussten künstlerischen Komposition entsteht das Bild aus dem Versuch, eine unkontrollierbare Flut an Reizen zu erfassen. Dieses Vorgehen steht in direkter Parallele zum Rezipieren von Instagram Reels, bei denen die Handlungsmöglichkeiten des Nutzers ebenfalls auf ein Minimum beschränkt sind: weiterwischen oder nicht? So wird die Mechanik von Social Media nicht nur thematisiert, sondern in den Arbeitsprozess selbst integriert.
Darüber hinaus eröffnet die Arbeit eine intime, beinahe voyeuristische Dimension. Der persönliche Instagram-Feed ist ein digitales Spiegelbild individueller Interessen, Sehnsüchte und unbewusster Muster - eine Art virtuelle Identität. Indem die Probanden ihre Feeds für die Projektion freigeben, legen sie ihre digitale Privatsphäre offen und machen sich im übertragenen Sinne „nackt".
15 Minutes of Doomscrolling stellt damit nicht nur die Frage welche inhaltliche Nachhaltigkeit soziale Medien für das Individuum überhaupt haben, wenn die visuelle Reizüberflutung nur noch vage, amorphe Spuren in der Erinnerung hinterlässt, sondern auch nach der Transparenz und dem Einfluss algorithmischer Systeme auf unsere Wahrnehmung und unser Verhalten.