Ringvorlesung In/Visualität. Zu einer Technoästhetik der Gegenwart | Sommersemester 2025
Kritik an Machtverhältnissen artikuliert sich nicht zuletzt seit der panoptischen Wende der Moderne entlang von Sichtbarkeiten und Unsichtbarkeiten ihrer Subjekte und befragt so politische Repräsentationsverhältnisse auch auf ihre ästhetischen Voraussetzungen. Unter heutigen digital-kapitalistischen Bedingungen lassen sich jedoch technoästhetische Phänomene beschreiben, die sich den Dichotomien von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit konstitutiv entziehen. Dabei wird das Visuelle auf das in ihm technologisch implementierte Nicht-Sichtbare hin geöffnet, was zugleich Folgen für die ästhetische Praxis hat.
Anknüpfend an diese Diagnose findet die Ringvorlesung ihren Einsatz beim Begriff der Invisualität, wie er derzeit zur Beschreibung der Generativität einer nicht-sichtbaren digital-visuellen Kultur diskutiert wird. Die Beiträge nehmen einerseits eine Phänomenologie gegenwärtiger digitaler Bildkulturen vor und untersuchen insbesondere Prozesse der Massifizierung, Plattformisierung und Automatisierung. So kann die anhaltende Bedeutung und Virulenz des Visuellen herausgestellt werden, dessen Techniken und Praktiken gleichzeitig zunehmend unabhängig von menschlicher Wahrnehmung operieren. Vor dem Hintergrund einer solchen Erweiterung der Optik des Sehens um eine Logistik von (Bild-)Daten fokussiert der Begriff des Invisuellen damit auch auf eine Neuverhandlung des Verhältnisses von Medientechnologie und Ästhetik.
Andererseits widmet sich die Ringvorlesung philosophischen Genealogien und Kritiken des Visuellen, um die unterschiedlichen Entstehungs- und Verwendungsgeschichten seit dem Erscheinen von Fotografie und Film, der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks bis zum digitalen Bild in den Fokus zu rücken. Werden mit der Dezentrierung des Subjekts und der Desorganisierung von Sinnzusammenhängen insbesondere traditionelle Konzepte des Schöpferischen herausgefordert, eröffnen sich von hier aus ebenso Perspektiven, die das Verhältnis von Technologie und Natur neu bedenken lassen. Wie können die Verquickungen von Technik, Natur und ästhetischer Praxis, insbesondere mit Konzepten der französischen und kritischen Theorie, begrifflich gefasst werden und welche Verschiebungen ergeben sich hieraus für den Kunstbegriff entlang der Diagonalen von Kreation und Reproduktion, Aktivität und Passivität, Mensch und Apparat?
Die Ringvorlesung führt diese doppelte Fragestellung des In/Visuellen zu einer Technoästhetik der Gegenwart zusammen und stellt aktuelle Positionen aus Philosophie, Film-, Fotografie- und Medientheorie vor. Begleitend werden drei Workshops angeboten sowie zwei Seminare mit je einem philosophischen und einem medientheoretischen Schwerpunkt. (Siehe Vorlesungsverzeichnis)
Vorträge
Lumi. On Snow, Light, and Synthetic Surfaces
Vortrag von Jussi Parikka (Universität Aarhus) mit Screening des Films Lumi
Datum: 28.04.25, 18-20 Uhr
Raum: E.EG.28 (hybrid)
Nature in Technology. Walter Benjamin on First and Second Nature
Vortrag von Eli Friedlander (Universität Tel Aviv)
Datum: 19.05.25, 18-20 Uhr
Raum: E.EG.28
Image Pipelines. Zu einer logistischen Theorie digitaler Bilder
Vortrag von Simon Rothöhler (Ruhr-Universität Bochum)
Datum: 02.06.25, 18-20 Uhr
Raum: E.EG.28
Ästhetische Praxis der Technik. Marcuse, Simondon und die Kunst der Technik
Vortrag von Gertrud Koch (Freie Universität Berlin)
Datum: 16.06.2025, 18-20 Uhr
Raum: E.EG.28
Die Schatten der Bilder. Über die Persistenz des Fotografischen in digitalen Bildtechnologien
Vortrag von Estelle Blaschke (Universität Basel)
Datum: 30.06.2025, 18-20 Uhr
Raum: E.02.29
Chromatic Aberrations. Seeing and Not Seeing in Colour
Vortrag von Esther Leslie (Birbeck, Universität London)
Datum: 14.07.2025, 18-20 Uhr
Raum: E.EG.28
Workshops
Anmeldung vorab per E-Mail unter
The Dream Character of Immature Technology
Workshop mit Eli Friedlander (Universität Tel Aviv)
Datum: 20.05.25, 14-18 Uhr
Raum: E.02.29
Sichtbare Gegenstände und technisches Sehen
Workshop mit Gertrud Koch (Freie Universität Berlin)
Datum: 17.06.2025, 14-18 Uhr
Raum: E.02.29
Materialist Poetics and the Limits of the Visible
Workshop mit Esther Leslie (Birbeck, Universität London)
Datum: 15.07.2025, 14-18 Uhr
Raum: E.02.29
Organisation: Amelie Buchinger, Lorenz Mayr
Auftaktveranstaltung des Forschungszentrums für Technoästhetik | Sommersemester 2024
Gilbert Simondon: Skizzen zur Techno-Ästhetik
Workshop mit Charlotte Bolwin und Shirin Weigelt
Datum: 08.07.24, 13:30-15:30 Uhr
Raum: Neubau, E.O2.29
Untitled, 2023. Voice, words, infrastructure, stuff.
Keynote mit Hito Steyerl
Datum: 9.7.24, 19 Uhr
Raum: Altbau, Historische Aula A.EG.15
Was ist Technoästhetik? Aktuelle Relektüren
Workshop mit Annekathrin Kohout, Francesca Raimondi, Agnieszka Roguski und Vera Tollmann
Datum: 10.7.2024, 9:30-18 Uhr
Raum: Neubau, Auditorium E.EG.28
Anmeldung bis zum 2.7.2024 unter
Texte werden vorab per Mail versandt.
Veranstaltungsbeschreibungen:
Gilbert Simondon: Skizzen zur Techno-Ästhetik
Workshop mit Charlotte Bolwin und Shirin Weigelt
Gilbert Simondons „Überlegungen zur Techno-Ästhetik“ (1983) erweitern dessen Nachdenken über die technische Kultur des 20. Jahrhunderts um eine ästhetische Komponente. Tentativ skizziert er das Konzept der Techno-Ästhetik in einem unvollendeten, nie abgeschickten Brief an Jacques Derrida.
In einem gemeinsamen Workshop geben Charlotte Bolwin und Shirin Weigelt Einblick in Anliegen und Stand ihrer Editionsarbeit zu Simondons Fragment über die Techno-Ästhetik und verorten den Text institutions- und ideengeschichtlich. Der Begriff der Techno-Ästhetik wird hierbei als Teil einer relationalen Ontologie von Technik und Mensch adressiert. Neben der Möglichkeit, individuelle Lektüreerfahrungen zur Diskussion zu stellen, soll ein besonderer Fokus auf die Verbindungen zwischen Technik- und Naturästhetik sowie die Verknüpfung der Techno-Ästhetik mit Industriedesign und Handwerk gelegt werden.
Charlotte Bolwin ist Kultur- und Medienwissenschaftlerin. Sie ist assoziierte Doktorandin am DFG-Graduiertenkolleg „Medienanthropologie” der Bauhaus-Universität Weimar und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der dortigen Professur für Digitale Kulturen. Ihre Dissertation befasst sich mit dem Zusammenhang von digitaler Ästhetik und Ökologie in zeitgenössischer Medienkunst.
Shirin Weigelt hat Philosophie in Berlin und Paris studiert. Sie promoviert am DFG-Graduiertenkolleg „Medienanthropologie” der Bauhaus-Universität Weimar zu digitaler Medialität und Berührungsrelationen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf phänomenbasierten Analysen mit machttheoretischem Index sowie auf philosophischer Begriffs- und Diskursgeschichte. Aktuell lehrt sie Philosophie an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle (Saale).
Was ist Technoästhetik? Aktuelle Relektüren
Workshop mit Annekathrin Kohout, Francesca Raimondi, Agnieszka Roguski und Vera Tollmann
Angesichts der aktuellen Diagnose einer zunehmenden Verschränkung von Technologie und künstlerischer Praxis gewinnt der Gedanke, dass ein Gegenstand sich gerade dort als ästhetisch erweist, wo er als technischer angeschaut wird und umgekehrt, neue Relevanz. Ein solcher Begriff der Technoästhetik wurde erstmals von Gilbert Simondon in einem Brief von 1982 an Jacques Derrida erwähnt: „Why not think about founding and perhaps even provisionally axiomatizing an aesthetico-technics or techno-aesthetics?“ Zur Ausarbeitung eines gemeinsamen Programms kam es allerdings nicht: Simondon hatte den Brief nicht abgeschickt. So bleibt der Begriff bis heute in seinen Konturen offen und durchlässig und insbesondere hinsichtlich einer Perspektivierung für die Kunst und die Künste erst noch zu bestimmen. Der Workshop fasst den Begriff der Technoästhetik in diesem Sinne als einen dehnbaren auf, der sowohl historisch als auch systematisch in verschiedene Richtungen entwickelt und unterschiedlich besetzt und gedacht werden kann. Mittels einer gemeinsamen Relektüre von vier einschlägigen Texten soll diese Akzentuierung vorgenommen und für die Kunst erschlossen werden: von Walter Benjamins „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ (1936) über Donna Haraways „Cyborg Manifesto“ (1991) und Legacy Russells „Glitch Feminism: A Manifesto“ (2020) zu Harun Farockis „Phantom Images“ (2004). Als Texte, die auf je spezifische (medien)technologische Bedingungen reagieren und bestimmte ästhetische wie politische Horizonte eröffnen, werden sie als zentrale Referenzen für technoästhetische Fragen diskutiert. Zusammen mit Gästen aus der Philosophie, Kunstgeschichte und Visuellen Kultur soll der Begriff der Technoästhetik nicht nur in seiner potenziellen Pluralität beleuchtet, sondern auch in seiner aktuellen Bedeutung für die Reflexion von Kunst und Kultur geschärft werden.
Annekathrin Kohout ist Kulturwissenschaftlerin, freie Autorin, Mitherausgeberin der Buchreihe „Digitale Bildkulturen“ sowie der Zeitschrift „POP. Kultur und Kritik“ und Redakteurin des „Journal of Global Pop Cultures“. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich mit der Ästhetik, Geschichte und Theorie von Pop- und Populärkultur, der Sozialen Medien und mit Gegenwartskunst. Sie hat Bücher über Netzfeminismus, Nerds und K-Pop geschrieben. Als Gastdozentin unterrichtet sie derzeit an der HfbK Dresden und HGB Leipzig. Unter ihren neueren Publikationen: Cuteness. Das Niedliche als ästhetische Kategorie (Kunstforum International Bd. 289, 2023), Hyperinterpretation und das Problem der hermeneutischen Willkür (in: „Aktuelle Kunstgeschichte/n. Plurale Perspektiven in Text und Bild“ hg. von Birte Kleine-Benne, 2024).
Francesca Raimondi ist derzeit Gastprofessorin für Theoretische Philosophie mit Schwerpunkt Ästhetik an der Freien Universität Berlin. Sie forscht und lehrt an den Schnittpunkten zwischen Ästhetik, kritischer Gesellschaftstheorie, Feminismus und politischer Philosophie mit besonderem Augenmerk auf moderne Formen der Subjektivierung und Verkörperung und deren Kritik und Transformation durch künstlerische Praktiken. Unter ihren neueren Publikationen: Serialität und Wiederholung: revisited (hg. zus. mit Martina Dobbe, 2021); “Materialität, Affektformierung und Ästhetischer Widerstand oder worin der Feminismus plastischer ist als Joseph Beuys“ (Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, 2023).
Agnieszka Roguski ist eine in Berlin lebende Kunst- und Kulturwissenschaftlerin, Kuratorin und Autorin. Sie arbeitet mit transdisziplinären Methoden zu Performance und Performativität, visuellen und (post-)digitalen Kulturen, queer-feministischen Perspektiven und kritischen Öffentlichkeiten. Sie ist Vertretungsprofessorin im M.F.A.-Programm „Körper, Theorie und Poetik des Performativen“ (KTPP) an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und seit 2024 künstlerische Co-Direktorin des kommunalen Ausstellungsortes Kunst Raum Mitte in Berlin. 2021–2023 war sie künstlerische Leiterin des M.1 der Arthur Boskamp-Stiftung, 2022 Researcher in Residence am Museum of Modern and Contemporary Art (MMCA) in Seoul. Ihre Texte wurden u.a. veröffentlicht in Texte zur Kunst, Zeitschrift für Medienwissenschaften, Spike Art Magazine, Camera Austria, Eikon und Springerin.
Vera Tollmann ist Gastwissenschaftlerin am Institut für Kultur und Ästhetik digitaler Medien (ICAM) an der Leuphana Universität Lüneburg. Zuvor war sie von 2019-22 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hildesheim und von 2015-17 an der Universität der Künste in Berlin. Im Frühjahr 2023 erschien ihr Buch ‘Powers of Ten’ und Bildpolitiken der Vertikalität bei Spector Books. Ihre Forschungsinteressen umfassen Theorien der Sichtbarkeit, feministische Technologiekritik, Bildpolitiken der Fernerkundung und AI in digitalen Kulturen.
Konzeption und Organisation: Amelie Buchinger, Olivia Liesner, Lorenz Mayr, Sarah Sigmund