Debütant*innenförderung

The form can no longer be maintained

 

Die multimediale Installation „The form can no longer be maintained“ reflektiert die Struktur des Grids, die in Form von Metallgittern sowohl auf eine kunsthistorische Bildtradition (1) als auch auf eine kartographische Vermessung und kapitalistische Aufteilung der Welt verweist. Das Grid besteht aus Einheiten fester Abmessungen, die in einem horizontal-vertikalen Muster angeordnet sind. Meist wird es zur Dezentralisierung der Bildfläche, zur Objektivierung und Organisation verwendet. Es steht hier als Metapher für Ordnungssysteme, die von der Künstlerin reflektiert, dekonstruiert und zunehmend aufgelöst werden und in einen Dialog mit organischen Formen treten. Das Raster dient auch als Trägerstruktur für die Präsentation von tierischen und pflanzlichen Analogien, die in ihrer metallischen Beschaffenheit zwar ihren künstlichen Ursprung offenbaren, jedoch die Wechselwirkung von Natur und Kultur verdeutlichen. Aus einer Gitterwand der vierteiligen Installation treten einzelne Elemente reliefartig hervor, als würden sie wie gigantische Skolopender (Hundertfüßer) zum Leben erwachen. An anderer Stelle setzen in Aluminium gegossene Muschelformen oder getrocknete Algen der geometrischen Struktur eine ehemalige Beweglichkeit entgegen. Ein Display mit durchlaufenden Koordinaten zeigt den Sitz der International Seabed Authority (ISA) in Kingston, Jamaika, die den Abbau mariner Rohstoffe verwaltet und kontrolliert sowie den Meeresboden kartographiert. Weitere integrierte kleine Videoscreens zeugen vom menschlichen kartographischen Blick, der von der Ausbeutung der Meere als zentraler Wirtschaftsraum durch Deep Sea Mining und Containerschifffahrt geprägt ist. Ein Agavenblatt trägt die Koordinaten seines Fundortes in der Nähe von Marseille, wo die Pflanze durch Schifffahrt und Handel eingeschleppt wurde und sich dort im Laufe der Zeit invasiv ausbreitete. Eine andere Form der territorialen Rückgewinnung wird durch wachsende Salzkristalle verdeutlicht, welche die Grundstruktur überziehen. Weiss‘ Installation erzählt eine Geschichte der menschlichen Aneignung und Vereinnahmung der natürlichen Umwelt und ihrer Ressourcen aus einer kritischen wie hoffnungsvollen Perspektive. Ihre Arbeit steht im Kontext aktueller ökologischer Debatten der Postnatural Studies, welchen zufolge die natürliche Umwelt nicht länger als ein romantisches Hintergrundrauschen menschlichen Handelns existiert, sondern maßgeblich zu einer der weitreichendsten kulturellen Konstruktionen der modernen Gesellschaft geworden ist. Der Satz „Irreducable to the sum of its parts“ ist auf einer Metallplatte eingeschweißt, womit Weiss auf die Vernetzung verschiedener Arten und Ökosysteme, aber auch auf deren Fragilität verweist (2). Auch Das Grid ist ein künstlerisch-technisches Konstrukt der modernen westlichen Kunstgeschichte, das die vielschichtigen Verbindungen offenlegt. Die begehbare Installation in ihrer doppelten Konstruiertheit zeigt abstrahierte Ausschnitte posthumaner Landschaftsbilder und wird damit selbst zu einer recherche basierten künstlerischen Kartographie.


Text von Madeleine Freund.


(1) Mit der konstruktivistischen Kunst avancierte das Raster in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem Symbol der Moderne. Künstler*innen verwendeten Rasterstrukturen sowohl als formales Gestaltungsprinzip als auch ideologisches oder metaphorisch aufgeladenes Mittel ihrer abstrakten Bildinhalte. In der Konzeptkunst und Minimal Art der 1960er und 1970er Jahre diente das Grid erneut als eines der grundlegendsten Bezugselemente, sei es für Zeichnungen auf Millimeterpapier oder als Teil raumgreifender Objekte.
(2) Vgl. Donna Haraway, Tentacular Thinking: „Anthropocene, Capitalocene, Chthulucene”, in: e-flux journal #75, September 2016. [Original: “Gaia is not reducible to the sum of its parts, but achieves finite systemic coherence in the face of perturbations within parameters that are themselves responsive to dynamic systemic processes.”]

 

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